Teilprojekt 6:
Automatische Momentenmagnitudenbestimmung für induzierte Seismizität bei tiefer Geothermie
Seismische Reaktionsschemen (Ampelsysteme) haben sich als wirkungsvolle und praktikable Methode erwiesen, um die induzierte Seismizität bei tiefer Geothermie zu begrenzen. Hierbei ermittelt ein seismisches Monitoringsystem die Anzahl und Stärke der Mikrobeben. Mit einer probabilistischen seismischen Gefährdungsanalyse lässt sich hieraus die zukünftige Überschreitungswahrscheinlichkeit bestimmter Stärken der Bodenerschütterung abschätzen. Dadurch ergibt sich ein Rückkoppelungsprinzip, das frühzeitig erhöhte Seismizität detektiert und durch Anpassung der hydraulischen Betriebsparameter eine Reduktion der seismischen Gefährdung erreicht.
Eine fundamentale Information über die induzierten Erdbeben ist deren Stärke. Hierbei haben sich zwei Stärkenmaße, die maximale Bodenschwinggeschindigkeit und die Erdbebenmagnitude als wesentlich und einander ergänzend herausgestellt. Die Schwinggeschwindigkeit beschreibt die seismische Einwirkung auf Gebäude, wobei nach DIN4150-3 abgeschätzt werden kann, ab wann Schäden an bestimmten Gebäudeklassen auftreten können. Die Magnitude hingegen erfasst die Stärke des Erdbebens an seiner Quelle. Sie wird im Rahmen der Gefährdungsanalyse benötigt, um die Auftretenswahrscheinlichkeit von Erdbeben mit einer bestimmten Magnitude zu berechnen. Bisher wird bei induzierten Mikroerdbeben hauptsächlich die Lokalmagnitude nach Richter eingesetzt. Es werden aber unterschiedliche Methoden verwendet, um diese Größe von starken, natürlichen Erdbeben auf induzierte Mikroseismizität zu übertragen. Somit ist diese Angabe bisher für verschiedene Reservoire schwer vergleichbar.
In Teilprojekt 6 soll daher ein Werkzeug entwickelt werden, das eine Bestimmung der physikalisch besser begründeten Momentenmagnitude ermöglicht. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist hierbei, dass die Verarbeitung der seismologischen Daten automatisiert werden muss, sodass im Ereignisfall automatische Alarmierungsnachrichten elektronisch verschickt werden können.
Die Momentenmagnitude induzierter Mikroerdbeben kann aus dem abgestrahlten Quellspektrum bestimmt werden. Um dieses aus gemessenen Seismogrammen zu invertieren, muss die frequenz- und ortsabhängige seismische Dämpfung des Untergrundes bekannt sein, die das Spektrum mit zunehmender Entfernung von der Quelle immer stärker verfälscht. Daher soll zunächst die Scherwellendämpfung in typischen hydrothermalen Geothermieregionen Deutschlands untersucht werden, wobei insbesondere auch die Tiefenabhängigkeit der Dämpfung berücksichtigt wird. Die Dämpfung seismischer Wellen wird sowohl durch intrinsische Absorption als auch durch Streuung hervorgerufen. Eine der erfolgreichsten Methoden zur Simulation der Dämpfung hochfrequenter seismischer Wellen ist die Energietransfertheorie. Die Energietransfergleichung beschreibt Vielfachstreuung inklusive Konversionen zwischen Kompressions- und Scherwellen beliebiger Ordnung. Mit ihrer Hilfe können Seismogrammeinhüllende vom Ersteinsatz bis zur diffusen Coda in einer Theorie beschrieben werden. Mit Hilfe der elastischen Energietransfertheorie werden theoretische Seismogrammeinhüllende berechnet, die von den frequenz- und tiefenabhängigen Dämpfungsparametern des Untergrundes abhängen. Die Parameter werden so lange variiert, bis eine hinreichende Übereinstimmung zwischen beobachteten und modellierten Daten erreicht wird. Dabei werden auch laterale Unterschiede in den oberflächennahen Schichten berücksichtigt.
Um eine genauere Betrachtung der Frequenzabhängigkeit sowohl des Quellspektrums als auch der Übertragungsfunktion der oberflächennahen Schichten zu ermöglichen, werden die Wigner-Transformation zur Zeit-Frequenz-Analyse eingesetzt. Nachdem die Dämpfungsparameter und die Verstärkungseffekte der oberflächennahen Schichten bekannt sind, können die beobachteten Spektren der Seismogramme in Quellspektren umgerechnet werden. An die so ermittelten Quellspektren werden theoretische Modellkurven angepasst, aus denen sich das seismische Moment ergibt. Diese Methode soll zunächst an Hand von vorhandenen seismologischen Archivdaten für die Geothermiekraftwerke in der Südpfalz (Oberrheingraben) sowie südlich von München (bayrische Molasse) entwickelt und getestet werden. Im letzten Schritt soll die Datenverarbeitung automatisiert und mit dem im Teilprojekt 2 entwickelten Detektor verknüpft werden, sodass ein automatisches Alarmierungssystem entsteht.
Prinzipskizze des seismischen Reaktionsschemas, das sowohl für hydraulische Stimulationen als auch für den dauerhaften Zirkulationsbetrieb angewendet werden kann
Quelle: FSU Jena